Borrelien
Persönliche Begegnungen mit Ixodes ricinus oder dem gemeinen Holzbock
In den Fünfzigerjahren, als ich noch ein Kind war, teilte ich meiner Großmutter ein Zimmer. Ich erinnere mich noch sehr gut, als wär es gestern gewesen, an diese seltsamen schwarzen, mehr oder weniger großen, kugelförmigen Gebilde in ihren varikösen Kniekehlen, wenn sie sich beim Zubettgehen entkleidete.
"Was ist denn das, Oma?" fragte ich mit Erstaunen.
"Das sind bloß Zecken", erwiderte sie ganz gelassen. "Sie saugen mein Blut, um zu überleben!"
"Warum nimmst Du sie nicht weg?"
"Das ist doch nicht nötig, sie fallen von selbst ab, sobald sie satt sind."
Meine Großmutter, die 1886 als neuntes von vierzehn Kindern geboren worden war und unter ärmsten Verhältnissen aufwuchs, hatte Zeit ihres Lebens keine Ahnung, dass Zecken Krankheitüberträger sein können. Sie war zeitlebens eine überaus gesunde Person und verstarb mit 94, kurz nach einer Radiusfraktur. Ich erinnere mich oft an diesen Dialog, er ist lebendig geblieben in mir, er bestärkt mich in meinem Vertrauen an eine heilere Welt und gibt mir Kraft und Zuversicht.
In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts, also während meiner Studienzeit, sollte ich dem gemeinen Holzbock auf eine ganz andere Art wiederbegegnen. Die FSME- Impfkampagne nahm gerade ihren Lauf und auch die Lyme-Borreliose wurde bereits als eigenständige Erkrankung anerkannt. Damals gab es kaum eine Gasse in der Wiener Innenstadt, in der es nicht auf riesigen Plakatwänden auf mich lauerte- dieses überdimensional vergrößerte und bedrohliche Monsterbild von einer Zecke! Es verkündete Alarmstufe rot und begründete von da an eine allgemeine Zeckenhysterie im Bewusstsein des modernen Menschen.
Wem galt es nun, mehr Vertrauen zu schenken, meiner Großmutter oder diesem bedrohlichen Monster?
Ich hatte von klein auf immer wieder einmal Körperkontakt mit Zecken, jedoch nie Angst vor einer Infektion. Im Jahr 1990, zu einer Zeit, in der ich maßlos überfordert war, in der ich von Wien aufs Land übersiedelte, um mich als Wahlärztin selbständig niederzulassen und in welche auch der Zeitpunkt meiner Scheidung fiel, erkrankte ich an einer Borrelieninfektion. Dabei entwickelte sich ein Erythema migrans am rechten Handgelenk, begleitet von hohem Fieber. Da ich jedoch keine Zeit hatte, mich der Krankheit zu widmen, zog ich, zu tiefst verunsichert, eine zweiwöchige antibiotische Behandlung der Homöopathie vor. Kurze Zeit danach, die Röte war bereits zwei Tage nach Einnahme des Antibiotikums verschwunden, stellten sich heftige, radikuläre neuralgische Schmerzen entlang des Nervus Ulnaris des rechten Arms ein. Dieses Beschwerdebild sollte mich Jahrelang beeinträchtigen, bis ich mich einer homöopathischen Behandlung bei einem Kollegen unterzog, um gesund zu werden.
Lyme Borreliose
Seit 1975 ist die Lyme-Borreliose als eigenständige Krankheit bekannt. Trotz intensiver Forschung ist die wissenschaftliche Basis für Diagnostik und Therapie bis heute unzureichend. Ein negativer serologischer Befund schließt eine Erkrankung nicht aus, ein positiver Befund besagt, dass der Patient zu irgendeinem Zeitpunkt eine Borrelieninfektion erworben hat und nicht ob diese floride oder latent vorhanden ist. In der Frühphase der Erkrankung ist das Auftreten eines Erythema migrans für eine Infektion beweisend. Da ein solches jedoch nicht notwendigerweise vorhanden sein muss, gestaltet sich die spezifische Diagnostik, insbesondere in den fortgeschritten Stadien recht aufwendig und unbefriedigend. Die begrenzte Wirkung der antibiotischen Behandlung von Borrelieninfektionen ist in zahlreichen Studien belegt. Selbst nach vermeintlich hoch wirksamer antibiotischer Therapie wurde beobachtet, dass Erreger im Organismus weiter "angezüchtet" werden. Borrelien haben die Eigenschaft sich dem Immunsystem speziell unter dem Einfluss spezifischer Antibiotika zu entziehen. Es handelt sich um einen, auch bei anderen Bakterien nachgewiesenen "escape- Mechanismus". Bei Ausbreitung der Borrelien im Organismus kann es zur Entstehung einer Multiorgan- und Systemerkrankung kommen mit einer außergewöhnlich großen Vielfalt möglicher Krankheitsmanifestationen. Die differentialdiagnostische Abgrenzung zu anderen Krankheitsbildern gestaltet sich äußerst schwierig und die Diagnose wird häufig im Ausschlussverfahren festgelegt. (Auszug aus den Leitlinien der Deutschen Borreliose Gesellschaft: Diagnostik und Therapie der Lyme-Borreliose)
Die Manifestation einer Borrelieninfektion gestaltet sich demnach äußerst individuell und vielfältig. Rein pathognomonische Symptome sind vor allem bei fortgeschrittenen Krankheitsprozessen eher rar, was eine Diagnosestellung im herkömmlichen Sinn erschwert, einer zielführenden homöopathischen Behandlung jedoch keineswegs im Wege steht. Borrelien besitzen diese besondere Eigenschaft, sich in einem Wirtsorganismus zu verstecken, um sich, bei einer Destabilisierung der Abwehrkräfte, über konstitutionelle, miasmatische Schwachstellen erneut erkennen zu geben. Dabei entstehen Krankheitssymptome und Symptomenkomplexe unterschiedlichster Konstellationen als Ausdruck einer individuellen Immunreaktion eines Organismus, welche als solche unter herkömmlicher Betrachtungsweise nur schwer einzuordnen sind. Homöopathie erweist sich demnach als eine bewährte Behandlungsmethode, erkennt sie doch das individuelle, besondere Symptom als zentralen Ausdruck einer generalisierten Störung, welches im Grunde genommen durch den Erreger Borrelia Burgdorferi nur verstärkt wird, also eine Erhöhung in seiner Wertigkeit erfährt.
Über und durch Borrelien gibt es noch vieles zu erfahren und erkennen. Sie entziehen sich einer herkömmlichen Erfassung von Erregereigenschaften und verlangen nach neuen, moderneren Betrachtungsweisen, die ihren besonderen Gesetzmäßigkeiten entsprechen und gerecht werden.